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Freak Valley Festival - Nepthen-Deuz, 30.05. bis 01.06.2013 - 30.05.2013
Unser geschätzer Kollege Thor Wanzek, der vermutlich längste und geschmackssicherste Troll überhaupt, war so frei und berichtete für uns von diesem fabelhaften Festival, das sich hoffentlich zu einer internationalen Institution entwickeln wird. Here we go ...
Nach dem gelungenen Debüt 2012 hat sich das Freak Valley Festival in Windeseile zu einer dreitägigen Zusammenkunft von Bands und Fans der guten, alten Rockmusik aus aller Herren Länder entwickelt. Bereits zu Beginn dieses Berichts sei festgestellt, dass die von Freaks für Freaks organisierte Veranstaltung nichts von ihrem gemütlichen Charakter eingebüßt hat. Auch bei mitunter arg kühlen Temperaturen erlebte das Tal am Rande der kleinen Ortschaft Deuz im Siegerland ein Fest, das diesen Namen wahrlich verdient und bei dem es für manchen zu unvermutet warmherzigen Begegnungen kam. Wenn im Folgenden nicht alle Bands Erwähnung finden, so ist dies äußeren Umständen geschuldet, sagt jedoch nichts über die Qualität der Übergangenen aus.
Donnerstag, 30.05.2013:
BUSHFIRE haben vor einem Jahr mit ihrem energischen Auftritt überrascht. Heute muss ich ihren eingängigen Songs vom Einlass her lauschen, an dem sich am frühen Abend eine lange Schlange gebildet hat. Darin bildet ein volltrunken, übermütiger Jungspund die krakeelende Ausnahme zwischen ansonsten sehr entspannt wirkenden Alt-Hippies, Underground-Rock-Fans, Metalheads und kauzig anmutenden Gestalten zwischen ungefähr 20 bis 60 Jahren.
KATLA ist eine der Bands, wegen der ich angereist bin: Das extrem junge Quartett aus Stockholm hat nach einem raren Demo-Tape gerade seine erste Single veröffentlicht. Die Neugierde im Vorfeld wurde vor allem durch Videoclips von diversen Konzerten geweckt, unter anderem dem DunaJam 2011. Die Schweden erweitern das rockige Klangspektrum um Theremin wie Geige und strotzen vor Freude am Musizieren, gleichwohl ihnen die Festival-Atmosphäre anfangs Respekt abringt. Etwas schüchtern stehen die drei zunächst auf der Bühne (Drummer John sitzt natürlich), doch mit zunehmender Spieldauer verliert vor allem die wunderlich maskierte Lisa ihre Hemmungen: Die zierliche Dame erweist sich als Frontfrau mit ganz eigenen Manieren und trockenem Humor. Die musikalische Darbietung gerät wahrhaft psychedelisch und auf sympathische Weise verschroben, denn die Gruppe mäandert zwischen rockigen Stilrichtungen und anderen Klangwelten, ohne dabei ins allzu Gefällige abzudriften. Die beiden Namensvettern Nils an den Saiteninstrumenten legen sich nach einer Weile richtig ins Zeug, und der Gitarrist weiß anschließend nicht, ob es sich freuen oder traurig sein soll: „Das war das bislang größte Publikum, vor dem wir gespielt haben, und es hat so viele Spaß gemacht, dass ich die Bühne gar nicht mehr verlassen wollte…“ Auch der Rest der Band ist mit dem Gig zufrieden, den das Publikum mit deutlich mehr als nur Höflichkeitsapplaus bedenkt.
Da ich mit den Musikern anschließend über dies und das klöne, bekomme ich von ihren gleichfalls psychedelisch veranlagten Landsleuten ASTEROID nur am Rande mit, dass sie die gute Stimmung aufgreifen und dem Publikum lieber eine fette Dröhnung verpassen, als sich in Spielereien zu verlieren. Das Trio erweist sich als versierter Grenzgänger zwischen frühem Hard und Stoner Rock, allerdings fehlt ihm bei allen bluesig-rauen Zwischentönen noch eine eigene Note, um zu den Großen seiner Heimat aufzuschließen.
Nach der rund vierwöchigen Europatour mit Solstáfir und Audrey Horne beziehungsweise Sahg sind LONG DISTANCE CALLING nicht nur sehr gut eingespielt, sondern haben mit ihrem aktuellen Album „The Flood Inside“ vor allem in Deutschland stark abgeräumt. Dennoch stößt ihr zeitgemäßer Mix aus Post Rock und Metal nicht bei jedem Freak-Valley-Besucher auf spontane Gegenliebe. Die Ansagen wirken zuweilen etwas automatisiert, zudem zünden vor allem die neuen Songs mit Martin Fischer als Sänger (er bedient auch die Elektronik) nicht so schnell wie die „Klassiker“, welche dramatischer und tiefer wirken. Zugegeben, das ist Jammern auf hohem Niveau, und die Band aus Münster kann letztlich auch einen Großteil des Publikums faszinieren bis fesseln, doch allmählich wird deutlich, dass sie ihr kompositorisches Potential mit den neuen Songs nicht wirklich ausreizt. Ich bin gespannt, welche Lehren die Jungs aus ihren routinierten Auftritten ziehen und welchen Herausforderungen sie sich zuwenden. Ihre stilistische Außenseiterrolle steht heute Abend jedenfalls in keinem Widerspruch zur Headliner-Position, dafür ist das Quintett schlichtweg zu dynamisch und trotz allem zu gut.
Freitag, 31.05.2013:
Die mit KATLA auf Tour befindlichen MAMONT fühlen sich von ihrem Namensgeber augenscheinlich nicht unter Druck gesetzt und mimen gar nicht erst die Trampeltiere. Ihr fetter Psychedelic Hard Rock erzeugt auch ohne viel Bewegung auf der Bühne ordentlich Druck, und Geburtstagskind Jimmy Karlsson freut sich am Schlagzeug sowieso über alles. Er lässt die Haare im Mammut-Groove fliegen, während sich Sänger und Gitarrist Karl Adolfsson lieber hinter seinen versteckt. Mit seinem Debüt „Passing Through The Mastery Door“ hat das Quartett in der Tat ein kleines Meisterwerk zwischen zeitgenössischem Stoner und Psychedelic Prog sowie Hard Rock der schwedischen Siebziger-Schule eingespielt. Es nutzt die Gunst der frühen Stunde, um den Anwesenden eine mächtige Breitseite zu verpassen. „Jag Sår Ett Frö“, „Creatures“ und „Satans Fasoner“ sind bären- … ähem, Mammut-starke Songs, die auch in einigen Jahrzehnten kaum an Ausdrucksgewalt einbüßen werden. Spielerisch voll auf der Höhe mag es der ebenfalls noch jungen Band ein wenig an Bühnenerfahrung mangeln, aber hier wächst zweifelsohne eine ganz spannende Truppe heran, die sich nicht auf Vintage Rock von der Stange reduzieren lässt, sondern mit Melodien im Stile alter Meister aufwartet und diese mit viel Herzblut füllt – nach meiner kauzigen Wahrnehmung die musikalisch stärkste Band des Festivals! Auch abseits der Bühne erweisen sich die Schweden als Überzeugungstäter: So lässt es sich Drummer Jimmy im Anschluss nicht nehmen, einen anderen Fan und mich mit großer Begeisterung auf die ersten Alben von Hansson und Karlsson hinzuweisen. Der Mann schwebt ohnehin im siebten Himmel: er freut sich auf UNCLE ACID & THE DEADBEATS und Geburtstags-Muffins mit Mammut obendrauf lassen ihn zum Honigkuchenpferd mutieren.
Zum wiederholten Mal sind THE MUGGS aus Detroit ins Siegerland gereist, um ihren bluesigen Hard Rock der Marke LED ZEPPELIN ebenfalls mit viel Groove und guter Laune unter die Freaks zu wuchten, in deren vorderen Reihen sich bei manchem Begeisterung Bahn bricht. Mir ist die Band komplett unbekannt, aber nach wenigen Minuten kann ich nicht anders, als sie im Oberstübchen unter „coole Säue“ beziehungsweise „Sympathiebolzen“ einzusortieren und ihren Namen vorsorglich mit Edding zwischen meine Lauscher zu schreiben – ungefähr dort, wo mir immer größere Lücken deutlich werden:Bbei den Ursprüngen des (Hard) Rock, denen ich doch nun im mittleren Alter endlich mehr Beachtung schenken sollte.
Nicht erst seit seinem Auftritt letzten November bei den Rock-Freaks im Siegener Vortex eilt dem schwedisch-norwegischen Ensemble BRUTUS der Ruf voraus, auf der Bühne die Höllenhunde von der Kette zu lassen. Sänger Jokke frühstückt zu später Stunde mit jedem Schluck Øl einen Clown und brabbelt sich so launig ins Nonsens-Nirwana, dass der Rest der Truppe auch mal ohne den Frontmann in einen neuen Song einsteigt. Knutte hinter den Kesseln gibt das Tempo hurtig vor, als wolle er möglichst schnell ins Taka-Tuka-Land aufbrechen, die Saiten-Fraktion gibt sich gleichfalls keine Blöße und überzeugt mit einem Wellenritt auf bluesigen wie doomigen Melodien, Abstecher auf die Boogie-Insel inklusive. Obwohl das Debütalbum mit einigen Hits gespickt war, legen die Skandinavier den Schwerpunkt auf neuere Songs – wohl nicht zuletzt deshalb, weil Jokke diese in seinem ureigenen Stil seit Jahren ankündigt. Der Aufstieg aus dem Freak Valley zu einem Flecken „Behind The Mountains“ (erscheint bald via Svart Records) erweist sich jedoch nicht als sonderlich anstrengend: Der bluesige Groove und Humor lassen vergessen, dass sich der Abend zur Nacht neigt und die Beine schwer werden. Wollen wir hoffen, dass Jokke abseits von Konzerten nicht ganz so gequält ist, sobald er ohne Bier dasteht.
Nicht wenige warten an diesem Wochenende vor allem auf den Auftritt von UNCLE ACID & THE DEADBEATS aus dem Vereinigten Königreich, die Gerüchten zufolge in den von Spinnweben verhangenen Gewölben eines Edgar-Wallace-Schlosses hausen, wo sie sich im Halbdunkel an alten Horrorschinken ergötzen, in nahezu alchemistischer Manier psychedelischem Krach frönen, und sich von garstigen kleinen Kindern ernähren, während es ihre Haushälterinnen allenfalls eine Nacht bei ihnen aushalten. Gerüchte hin oder her, die Band macht einen selbstbewussten und musikalisch soliden Eindruck, ohne mich nachhaltig begeistern zu können. Die Grabkammern, in denen sie sich bedient, wurden in den vergangenen Jahren zu oft geplündert, um noch den großen Überraschungseffekt zu erzielen. Auf dem dunklen Waldweg Richtung Parkplatz kann ich mir zu den Klängen jedoch ohne weiteres ausmalen, dass dem Matsch zu meinen Füßen gleich ein Zombie entspringt, der mir ob meiner Ignoranz gegenüber solch einer Kultband die Hölle heißmacht – mit „Brutus Is A Hellhound“ im Ohr kann mich aber auch diese Vorstellung nicht erschrecken.
Samstag, 01.06.2013:
NIGHTSTALKER aus Griechenland müssen ihrem Namen zum Trotz bereits am späten Nachmittag beweisen, dass schnörkelloser Hard Rock kein Verfallsdatum hat. Vor allem Sänger Argy lässt daran auch über 20 Jahre nach der Bandgründung keinen Zweifel, und sein „Dead Rock Commando“ punktet mit Geradlinigkeit, ohne allerdings dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, zur europäischen Speerspitze zu zählen.
Der erste Auftritt in Westeuropa gerät für das Trio STONED JESUS aus Kiew leider zu einem halben Debakel. Auch nach mehrfach getauschten Kabeln, mit einer neuen Gitarre und einem Ersatzverstärker fällt der Sechssaiter in den Händen von Igor immer wieder aus. Der Klampfer begegnet den technischen Problemen mit bemerkenswerter Ruhe und anfangs auch Humor, doch der dauernde Ausfall nervt einfach irgendwann. Der Gesang klingt vielleicht deshalb nicht gerade leidenschaftlich, und Spannungsbögen werden nur eingeschränkt vollzogen. Die Ukrainer bemühen sich zwar, mit aller Routine einen noch möglichst ansprechenden Gig aufs Parkett zu legen, und Igor gelingt sogar zwischenzeitlich, die ersten Reihen mit einer energiegeladenen Performance in seinen Bann zu ziehen – doch dann fällt die Gitarre zum zigsten Mal aus. So bleibt ein leicht enttäuschender Eindruck von einer Gruppe bestehen, die unter besseren Bedingungen sicher deutlich befreiter aufgespielt und mehr bewegt hätte. Das epische „I’m The Mountain“ mit folkig-melancholischem Intro und wunderschönem Text sowie das groovig treibende „Electric Mistress“ deuten das Potential der sympathischen Osteuropäer an, die noch flugs eine Single ins Publikum werfen, an ihrem Merch-Stand jedoch schon wieder über sich selbst lachen können.
APE MACHINE stürzen sich danach mit einer Spielfreude in ihren Gig, als gäbe es kein Morgen mehr. Verzichtet die Band auf Pausen zwischen ihren Songs, oder ist das etwa ein einziger Longtrack, der sich immer weiter verzweigt und nur dann und wann eine gewisse Eingängigkeit willkommen heißt? So engagiert das muntere Treiben der Amerikaner wirkt, so schwer verdaulich bleibt ein Gutteil der Musik für diejenigen, die sie zum ersten Mal hören. Der guten Laune auf und vor der Bühne tut das keinen großen Abbruch, und Jubel brandet im weiten Rund auf, als mit DEEP PURPLEs „Black Night“ ein allen bekannter Klassiker gecovert wird. Fazit: Keineswegs affig überdreht oder maschinell eintönig, sondern herausfordernd und mit einigen tollen Melodien in der Hinterhand verströmen APE MACHINE eine latent verstörende Faszination.
Das Couch-Potato-Outfit von Bassist Hans van Heemst – Bollerbuxe und Baumwollsocken – deutet eine Lässigkeit an, welcher das niederländische Trio THE MACHINE auch in seinen Songs immer wieder die Gelegenheit einräumt, sich auszubreiten. Die locker eingestreut wirkenden Jam-Sessions bilden einen gelungenen Kontrast zum forschen Stil der Band, in deren Mittelpunkt sich ein verdammt jung wirkender Schlagzeuger verausgabt. Während auf der Bühne eine kunterbunte Lichtshow der ebenso schillernden Musik einen würdigen Rahmen gibt, schauen einige Fußball-Verrückte auf einem Laptop mitten im Publikum das Pokalendspiel – it’s a freak valley indeed.
An diesem Abend wird das musikalische Abrisskommando von den Engländern ORANGE GOBLIN gestellt, die um 22.20 Uhr begeistert empfangen werden. Fronthüne Ben Ward springt bereits nach wenigen Minuten in den Fotograben, um sich bei den ersten Reihen persönlich zu bedanken, während seine Band schwermetallische Geschütze in Stellung bringt: Die nächsten knapp anderthalb Stunden stehen ganz im Zeichen des ungeschliffenen Heavy Metal, wobei auch dem kürzlich verstorbenen SLAYER-Gitarristen und grandiosen Songwriter Jeff Hannemann die Ehre erwiesen beziehungsweise mit „They Come Back“ ein Song gewidmet wird. Die Herangehensweise der vier Briten ist hart, aber herzlich, und kommt beim Publikum gut an – trotz der späten Stunde dürfte nur noch wenigen kalt sein, dafür ist einfach zu viel Bewegung im Spiel. Die Tempowechsel garantieren, dass keine Langeweile aufkommt, und auch wenn Ben Ward wohl niemals auch nur annähernd die stimmliche Bandbreite von Lemmy erreichen wird, hat sein Einsatz doch etwas ähnlich Sympathisches.
Abschließend möchte ich an die zahlreichen stets hilfsbereiten und meist gut gelaunten Crew-Mitglieder (noch jemand Kuchen?) sowie die Veranstalter ein ganz herzliches Dankeschön entrichten. Was diese Freaks auf die Beine stellen, verdient mehr als nur Respekt: angefangen bei einem abwechslungsreichen Line-up mit wenig Schwächen über eine astreine Organisation auf allen Seiten bis hin zu einem für Festival-Verhältnisse richtig guten Catering – das ist spitze! Wenn ich dann noch in Betracht ziehe, dass man für die zu Oldie-Events verkommenen betrüblichen „Konzerte“ von BLACK SABBATH oder andere Festivals mit vermeintlich größeren Bands wesentlich tiefer in die Tasche greifen muss als für drei Tage und Nächte mit Musikern, die auf der Bühne den Rock’n’Roll in ganz unterschiedlichen Facetten zum Leben erwecken, würde ich am liebsten nur noch schreien: „Hier spielt die Musik!“